Donnerstag, 21. Mai 2009

Du musst Dein Leben ändern! Peter Sloterdijks neues Buch

Peter Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern, Über Anthropotechnik, Frankfurt 2009, Suhrkamp Verlag


Um mit der Zusammenfassung zu beginnen: Ich wünsche dem Buch, dass es von vielen Menschen ernsthaft gelesen wird. Es ist nämlich eine großartige Einführung in die Philosophie und das Philosophieren gleichzeitig.Und diese Art des Philosophierens ist einer möglichst großen Zahl von Menschen zu wünschen.

Dieses Buch fördert die Selbstreflektion , die sowohl das eigene Sein als auch das Sein für andere und mit Anderen verbessert, weil es den Leser an die Hand oder besser weil „Bergführer Sloterdijk“ seinen Gast ans Seil nimmt, um mit ihm die Vertikalen von Kultur zu entdecken und ihn einlädt, sich im Klettern in diesen Vertikalen mit ihm zu üben.

Der Untertitel „Zur anthropotechnischen Wende“ betrifft die zeitgeschichtliche Positionierung. Der rote Faden ist die Vermittlung einer Grundhaltung, „die Philosophie sei keine Disziplin, sondern eine Aktivität, die die Disziplinen durchquert.“ Am Leitfaden von Nietzsches Wiederaufnahme des Aufbruchs der Renaissance findet man sich klar positioniert in der anthropotechnischen Wende der Gegenwart, deren Topographie durch die reflektierten Kletterübungen dieses eleganten Kletterlehrers nachvollziehbar werden. Nietzsche, Heidegger, Foucault, Wittgenstein, wichtige Stücke der Antike von Heraklit über Sokrates und Platon machen deutlich, was „philosophischer Mehrkampf und dem Subjekt als Träger seiner Übungsreihen“ sein kann. Ein Training, das sich lohnt, wenn man sich aktiv in der Gegenwart zurechtfinden möchte und dabei einem inzwischen globalen Bezugsfeld sowohl okzidentaler als auch östlicher Kulturen ausgesetzt ist, die die Orientierung tatsächlich zu einer fordernden Bergtour ( Entdeckung des Vertikalen im Gegensatz zum Horizontalen) werden lassen.

Hier eine Textprobe, wie es in diesem Klettergarten (Mount Improbable) aussieht: auf S. 272 im Teil I „Die Eroberung des Unwahrscheinlichen“ im 3ten Kapitel „Schlaflos in Ephesos“ schreibt Sloterdijk: „Aus den asymmetrischen Zerfallsprodukten ergaben sich die tiefreichenden Differenzen zwischen den Rationalitätskulturen bzw. den „Ethiken“ des Okzidents und des Orients. Während sich auf dem westlichen Pfad, um summarisch zu reden, ein Denken ohne Wachen durchsetzte, das sich dem Ideal der Wissenschaft verpflichtete, kam auf dem östlichen Pfad eher ein Wachen ohne Wissenschaft zum Zug, das Erleuchtungen ohne begriffliche Präzisierungen anstrebte – angelehnt an einen Staatsschatz von Weisheitsfiguren, der mehr oder weniger allen Meistern gehört. Heideggers Versuch, die Alternative von Szientismus und Illuminismus in neo-vorsokratischer Haltung zu unterlaufen, erbrachte ein Konzept von >Denken<, das deutlich näher beim meditierenden Wachen als bei der Konstruktion oder Dekonstruktion von Diskursen lag. Seine späte Pastorale des Seins, die mehr einem Exerzitium als einer diskursiven Praxis gleicht, weist auf das Unternehmen hin, die Bewußtseinsphilosophie nach ihrem aufrüttelnden Durchgang durch die Existenzphilosophie in eine welthaltige Wachheitsphilosophie zu verwandeln.“

Das Buch ist auf seinen 714 Seiten eine den Leser herausfordernde Tour, mit neuartigen Aussichten, die die Anstrengungen des Lesens aber Wert sind. Der Leser wird von Sloterdijk gefordert, seine eigene Position zu reflektieren, sonst kann er die neuen Aussichten nicht genießen. Er muss dann eben im Basislager verbleiben. Wer nicht im Basislager verbleiben will, hat die Chance einer Entdeckung, die „den Menschen beschreibt in aller Diskretion als Akrobaten der virtus – man

könnte auch sagen: als Träger einer moralischen Kompetenz, die in soziale und künstlerische Leistungskraft übergeht. Das ist die weit geöffnete Tür, durch welche die Denker der Renaissance bloß zu gehen brauchten, um die Heiligen in die Virtuosen zu verwandeln“ ...und damit die anthropotechnische Wende einzuleiten.

Wer nicht im Basislager bleiben will, also die mutwillige Verarmung durch Bourdieus Habitus- Begriff nicht teilen will, ist eingeladen zu weiteren Expeditionen. Dann müsste er allerdings auch bereit sein, Sloterdijk in seinem kritischen Plädoyer über „Identität als das Recht auf Faulheit“ (S.296) zu folgen. Das würde ihn weiterführen zu dem Kernthema des ganzen Buches: „Sein Leben ändern heißt nun: durch Aktivität ein Übungssubjekt heranbilden, das seinem Leidenscchaftsleben, seinem Habitusleben, seinem Vorstellungsleben überlegen werden soll. Subjekt wird hiernach, wer an einem Programm zur Entpassivierung seiner selbst teilnimmt und vom bloßen Geeformtsein auf die Seite des Formenden übertritt. Der ganze Komplex, den man Ethik nennt, entspringt aus der Geste der Konversion zum Können. Konversion ist nicht der Übergang von einem Glaubenssystem zu einem anderen. Die ursprüngliche Bekehrung geschieht als Austritt aus dem passivischen Daseinsmodus in Tateinheit mit dem Eintritt in den aktivierenden. Dass die Aktivierung und das Bekenntnis zum übenden Leben dasselbe bedeuten, liegt in der Natur der Sache. Mit diesen Hinweisen wird präziser fassbar, was Nietzsche gesehen hatte, als er in seinen Überlegungen Zur Genealogie der Moral die Erde als asketischen Stern charakterisierte. Die Askesis war von dem Augenblick unumgänglich geworden, in dem eine Avantgarde von Beobachtern sich genötigt sah, über ihren Schatten zu springen – genauer die drei Schatten, die ihnen in Form von Leidenschaften, Gewohnheiten und unklaren Ideen anhängen.“

Zur Struktur des Buches: Nach einer Einleitung zum Thema der anthropotechnischen Wende und einer Beschreibung des Planeten der Übenden mit Ausführungen zu Rilke, Nietzsche, Unthan,Kafka und Cioran sowie einem spannenden Exkurs über Pierre de Coubertin und Ron Hubbard und sein Scientology System folgt eine vielgliedrige Beschreibung der Eroberung des Unwahrscheinlichen als Plädoyer für eine akrobatische Ethik. In einem gleichermaßen vielfältigen zweiten Hauptteil folgt dann die historische Darstellung der Übertreibungsverfahren, die die unausweichliche Konsequenz für diejenigen darstellen, die sich von der akrobatischen Ethik zur praktischen Umsetzung haben anstiften lassen. Der Bogen wird weit gespannt: von der Antike, in der die äußerste Mobilmachung im Namen von Übung und Perfektion geschah, bis zur Moderne, in der die höchste Mobilmachung der menschlichen Kräfte sich vornehmlich unter dem Vorzeichen von Arbeit und Produktion vollzog. Der dritte Teil widmet sich den Exerzitien der Modernen in ihren vielfältigen Trainingslagern, die vorbereiten auf einen vernünftig plausiblen Schlussakkord: Der Imperativ „Du musst dein Leben ändern“ stellt sich gleichermaßen den Menschen der Gegenwart als permanente Aufgabe in einer Welt, die Sloterdijk als Geschichte von Immunsystemkämpfen begreift, in der schließlich an die Stelle kultureller Übertreibungsverfahren und einer Romantik der Brüderlichkeit eine aufgeklärte kooperative Logik trifft. Diese Logik beinhaltet den Entschluss, „in täglichen Übungen die guten Gewohnheiten gemeinsamen Überlebens anzunehmen.“

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